Mittwoch, 10. September 2008

Spendenskandal in Deutschland belastet Ministerpräsident Erdogan

Mitarbeiter eines islamischen Wohltätigkeitsvereins in Frankfurt haben vermutlich mehr als 18 Millionen Euro Spenden veruntreut. Und das bringt den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan unter Druck: Denn ein Teil des Geldes soll im Umfeld seiner Partei gelandet sein.


Berlin - Der Trailer bewegt: Man sieht Menschen mit erfrorenen Füßen, hungernde Kinder, Rentner auf Müllhalden, das Elend in Anatolien. Dann der Schnitt: Weiße Lastwagen mit dem Schriftzug des islamischen Wohltätigkeitsvereins Deniz Feneri (Leuchtturm) fahren auf eine Straße, dazu dynamische Musik. "Einige Männer, die nicht mehr wegsehen wollten, haben das Wohltätigkeitsprogramm des Jahrhunderts gegründet", sagt eine Männerstimme. Die Laster bringen Pakete zu den Menschen. Man sieht Frauen die nähen lernen, zufriedene Schulkinder und alte Menschen, die medizinisch untersucht werden.

Mit Ihrer Spende haben wir bis heute Tausende Menschen erreicht", sagt die Stimme, "und wir machen weiter, bis wir den letzten Bedürftigen auf dieser Erde erreicht haben." Pause. "Machen Sie mit?" Der Film und das eingeblendete Spendenkonto waren seit Jahren regelmäßig im türkischen Fernsehsender Kanal 7 zu sehen, der überwiegend in Deutschland gesehen wird. 21.000 Spenden gingen ein, zusammen 41 Millionen Euro.
In der Türkei führte die in Frankfurt koordinierte Spendensammlung allerdings zu einem politischen Skandal: Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan gerät unter Druck, weil offenbar Deniz-Feneri-Spenden veruntreut wurden und im Umfeld von Erdogans islamisch-konservativer Regierungspartei AKP gelandet seien sollen.
Vor dem Frankfurter Landgericht stehen nun drei türkischstämmige Männer, ehemalige Funktionäre von Deniz Feneri, denen Betrug in 200 Fällen im Laufe von fünf Jahren vorgeworfen wird. Der Hauptangeklagte, ein 45 Jahre alter Mann mit deutschem und türkischem Pass, war Geschäftsführer der deutschen Sektion des Vereins. Alle drei legten bereits umfassende Geständnisse ab; dafür sollen ihre Strafen verhältnismäßig niedrig ausfallen. Sie gaben zu, mehr als 18 Millionen Euro zweckentfremdet zu haben.
Die Extramillionen sollen die Männer in bar abgehoben und zunächst in die Türkei geschafft haben, heißt es in der Anklage. Dort investierten sie offenbar in Firmen, die sie teilweise selbst gegründet hatten. So erwarben sie Immobilien, gründeten einen Taxibetrieb und ersteigerten ein Fährschiff, das zwischen Italien und der Türkei fahren sollte.
Die Medien berichten über Zusammenhänge mit der AKP
Für den politischen Skandal in der Türkei aber sorgte der Vorwurf, ein Teil der veruntreuten Gelder sei in Medien investiert worden, die der Regierungspartei AKP nahestehen.
Die angebliche Verbindung zu Ministerpräsident Erdogan wird bislang vor allem durch die Blätter und Sender der Dogan Holding verbreitet, des größten Medienkonzerns der Türkei. In Zeitungen wie "Hürriyet" und diversen Fernsehkanälen des Hauses wird aus einem Buch zitiert, in dem ein ehemaliger Mitarbeiter des islamischen Fernsehkanals Kanal 7 auspackt: "Hürriyet" berichtet von angeblichen familiären Verbindungen Erdogans zum Gründungsvorstand von Kanal 7.

Außerdem soll Erdogan persönlich am Aufbau des islamischen Senders beteiligt gewesen sei, wie bereits zuvor sein politischer Ziehvater Necmettin Erbakan, der als Islamist aus der Politik verbannt wurde. Die Medien veröffentlichten ein Foto von Erdogan und dem Vorsitzenden des dubiosen Wohltätigkeitsvereins Deniz Feneri, die sich bei einer Veranstaltung unterhalten. Erdogan selbst soll behauptet haben, den Verein nicht zu kennen.
Der Ministerpräsident hat bislang jede Verwicklung seiner Partei in den Fall bestritten. Die Mediengruppe Dogan kritisierte er scharf für ihre Berichte über den Spendenskandal und angebliche Verbindungen zur AKP. Sie seien nur eine Reaktion auf kürzliche Entscheidung der Regierung, die die wirtschaftlichen Interessen der Dogan-Gruppe störten, so Erdogan.
Die Oppositionspartei mischt sich kräftig ein
Inzwischen hat sich die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) eingeschaltet und fordert lautstark Aufklärung. Parteichef Deniz Baykal gibt unzählige Presseerklärungen zu dem Fall und versucht, den Fall politisch zu seinen Gunsten zu nutzen. Baykal wird in vielen Zeitungen damit zitiert, dass Erdogan dem Medienmogul Aydin Dogan "gedroht" habe. "Wenn ihr weiterhin ärgerliche Berichte über mich bringt, werdet ihr noch sehen, was ich mit euch mache", soll Erdogan gesagt haben.
Damit versucht die laizistische Elite in der Türkei derzeit weiter, Erdogans Partei AKP als Gefahr darzustellen, die den Staat islamisch unterwandert. Zwar hat die AKP das gegen sie angestrebte Verbotsverfahren im Juli glimpflich überstanden, doch der nächste Konflikt ist längst in vollem Gang.
Der Prozess in Frankfurt könnte nach den Geständnissen schon bis Ende September abgeschlossen werden. Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung sollen eine Absprache getroffen haben, hieß es vor Gericht am Montag. Der Hauptangeklagte soll sechs Jahre Freiheitsstrafe bekommen, seine beiden Mittäter drei Jahre beziehungsweise eine Bewährungsstrafe. Weitere Verfahren, etwa wegen Steuerdelikten, will die Staatsanwaltschaft im Rahmen des Deals einstellen.
Für die islamischen Spender in Deutschland mag das ein Trost sein. Auch, dass ein großer Teil der Spendengelder offenbar tatsächlich bei den Bedürftigen angekommen ist. Ein bitterer Nachgeschmack wird aber bleiben.

Quelle: spiegel.de

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

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