Dienstag, 16. September 2008

Ikea flüchtet aus Rumänien in die USA

Rumäniens Wirtschaft feiert ihr Rekordwachstum. Doch steigende Lohn- und Rohstoffpreise lassen die ersten Investoren bereits das Handtuch werfen.

BELGRAD/Bukarest. An Wäldern hat die rumänische Bukowina keinen Mangel. Doch mit anhaltenden Problemen beim Holznachschub erklärt die schwedische Ikea-Tochter Swedwood nun ihren überstürzten Abschied aus Rumänien. In drei Jahren sei der Holzpreis um 70 Prozent gestiegen, begründete Direktor Keleman Balaci zu Monatsbeginn die Schließung der verlustträchtigen Swedwood-Fabrik im nordrumänischen Siret.

Löhne fast verzehnfacht
Auch „zahlreiche Maßnahmen zur Effizienz-Verbesserung“ hätten das Werk nicht aus den roten Zahlen führen können: „Die Kostensteigerungen waren zu groß. Es macht keinen Sinn, Umsatzsteigerungen zu realisieren, wenn man ständig mit Verlusten operiert.“ Außer der Entlassung von knapp 500 Mitarbeitern in Siret kündigte Schwedens Möbelriese auch den Verzicht auf eine geplante 45-Millionen-Euro-Investition in ein neues Werk im 75 Kilometer entfernten Gura Humorului an.
Laut Presseberichten planen die Schweden, ihre Möbel künftig verstärkt im waldreichen Nordamerika zimmern zu lassen. Jobs in osteuropäischen Niedriglohnländern wie Rumänien kehrten in die USA zurück, konstatiert der Swedwood-US-Chef Bengt Danielsson. Tatsächlich sind nicht nur die Rohstoffpreise, sondern auch die Löhne in Rumänien für hart kalkulierende Konzerne wie Ikea spürbar gestiegen. Als Ikea das rumänische Werk 1999 eröffnete, lag der landesweite Durchschnittslohn gerade mal bei 87 Euro: Arbeiter in der holzverarbeitenden Industrie mussten sich damals gar mit 56 Euro bescheiden. Inzwischen erhalten selbst schlecht bezahlte Wachleute in Rumänien knapp 300 Euro im Monat. Die Durchschnittslöhne in der Boom-Stadt Bukarest sind bereits auf 730 Euro im Monat geklettert.
Der Abschied von Ikea aus Siret sei für die strukturschwache Bukovina ein „harter Schlag“, kommentierte die Tageszeitung „Eventimentul Zilei“ die Betriebsschließung. Gleichzeitig erinnerte das Blatt jedoch auch an die Produktionsverlagerung des Mobiltelefon-Riesen Nokia von Bochum ins rumänische Jucu zu Jahresbeginn.
„Wir können zwar nicht behaupten, dass dies die Strafe der Götter ist für das, was wir den Deutschen in Bochum angetan haben. Doch was in Siret passiert, kann überall geschehen. Ob es uns gefällt oder nicht: Wir konkurrieren mit viel mehr Regionen und Ländern, als wir glauben.“

Neue Investoren rücken nach
Doch im Gegensatz zur Nokia-Abwanderung in Bochum blieb ein landesweiter Aufschrei der Empörung über den Abschied von Ikea in Rumänien aus. Denn noch lockt der rumänische Wachstumsmarkt mit seinen 21 Millionen Konsumenten auch dank seines immensen Nachholbedarfs weit mehr Investoren nach Rumänien, als das Land verliert. Nach Angaben des Statistik-Institutes INS dürfte die Höhe der Direktinvestitionen aus dem Ausland von sieben Mrd. Euro 2007 auf über zehn Mrd. Euro im laufenden Jahr klettern. Der Effekt der anhaltenden Investitionen bleibt nicht aus: Für das erste Halbjahr vermeldet das INS mit 8,8 Prozent einen neuen Wachstums-Rekord. Rumänien Wirtschaft zeige sich von den internationalen Entwicklungen scheinbar unberührt, obwohl sie „noch nie so eng mit dem Rest der Welt angebunden war“, wundert sich der Kommentator des Finanzblatts „Capital“.
Seit Jahren predigten die heimischen Analysten, dass Rumäniens Wachstum nicht nachhaltig sei, doch gehe die Wirtschaft „ihren eigenen Weg“. Im ersten Halbjahr sei die Weltwirtschaft in eine der schwersten Krisen der letzten 20 Jahre geschlittert: „Und was passiert in Rumänien? Hier wurde das größte Halbjahreswachstum der Geschichte gemessen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2008)

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