Mittwoch, 10. September 2008

Auf der Jagd nach dem Goldmacher

Das FBI jagt ihn, weil er dafür gesorgt haben soll, dasss bei den Olympischen Spiele in Salt Lake City Goldmedaillen nach seinem Gutdünken verliehen wurden. Doch der Russe Alimschan Tochtaschunow lebt in seiner Heimat völlig unbehelligt. Er verhöhnt die Fahnder sogar mit Fernseh-Interviews.Es war der 11. Februar 2002, als der olympische Geist arg gebeutelt wurde. Bei den Winterspielen in Salt Lake City in den USA ging es im Eiskunstlauf-Paarwettkampf um alles, um Gold. Es war ein packendes Duell zweier Paare, der Russen Jelena Bereschnaja und Anton Sicharulidze und der Kanadier Jamie Sale und David Pelletier. Doch dann schien alles klar, denn Sicharulidze, der Russe, erlaubte sich bei der Landung nach einem Doppel-Axel einen kleinen Ausrutscher. Die Kanadier dagegen boten eine annähernd perfekte Leistung. Das Publikum feierte sie als Sieger.Was dann folgte, war für das Publikum in aller Welt eine faustdicke Überraschung: Das Kampfgericht entschied sich mit fünf zu vier Stimmen für die Russen. "Ich fühlte mich fast so, als ob mein Herz aus meiner Brust gerissen würde", beschrieb die unterlegene Kanadierin Sale später ihre Empfindungen.

Eine Kampfrichterin gestandDass die Russen ihren Sieg durch Betrug errungen haben könnten, wurde erst am Tag nach der kontroversen Entscheidung ruchbar. Die französische Kampfrichterin Marie-Reine Le Gougne gestand, dass sie vom Chef ihres nationalen Eissportverbandes unter Druck gesetzt worden sei, sich für die Russen zu entscheiden. Zwar nahm sie ihre Aussage schnell zurück, doch da war es schon zu spät. Olympia hatte seinen Manipulationsskandal. Die Organisatoren der Spiele bemühten sich um rasche Wiedergutmachung - und verliehen auch den Kanadiern Goldmedaillen. Seither fahnden die US-Behörden nach den Drahtziehern der angeblichen Olympia-Schieberei.

Der entscheidende Hinweis kam aus ItalienSeit dem Sommer 2002 jagen die Amerikaner einen konkreten Verdächtigen: Alimschan Tochtaschunow, heute 59, ein russischer Geschäftsmann und angeblicher Mafioso, soll die Vergabe der Goldmedaille in Salt Lake City aus der Ferne arrangiert haben. Das FBI erwirkte in New York einen Haftbefehl gegen den Russen. Dass Tochtaschunow hinter dem Eiskunstlauf-Skandal stehen könnte, war dabei eher zufällig aufgefallen: Die italienische Finanzpolizei "Guardia di Finanza", die nach Steuersündern und illegalen Geldgeschäftemachern fahndet, hörte den Russen in seinem Domizil in der Toskana wegen des Verdachts auf Geldwäsche ab. Dabei sei ihr zu Ohren gekommen, wie Tochtaschunow am Telefon über die Einflussnahme auf die Eiskunstlauf-Jury in Salt Lake City berichtet habe. Die Italiener gaben die Beweise an ihre amerikanischen Kollegen weiter. Sie klagten "Taivanchik", "den kleinen Taiwanesen", wie Tochtaschunow wegen seines asiatischen Aussehens genannt wird, in fünf Punkten an - auf jeden steht eine Höchststrafe von fünf Jahren. Hauptsächlich geht es dabei um Betrug im olympischen Wettkampf.

Tochtaschunow habe einen Deal eingefädelt, der vorsah, dass die Russen im Eiskunstlauf und die französischen Teilnehmer im Eistanz Gold gewinnen würden - glaubt zumindest das FBI. Er selbst habe sich erhofft, dass die einflussreichen französischen Vertreter ihm nach diesem Geschäft helfen würden, ein neues Visum für Frankreich zu erwerben, wo er andere zwielichtigen Geschäfte vorantreiben wollte.Doch auch sechs Jahre später hat man den Russen noch nicht vor einem US-Gericht gesehen. Im Gegenteil. Der US-TV-Sportsender ESPN dokumentierte vor kurzem eindrucksvoll, wie prächtig es Tochtaschunow in Russland geht, wie ungehindert er sein Leben genießen kann, während er in den USA weiter als einer der meistgesuchten Kriminellen gilt. Die amerikanischen Reporter hatten ihn einer luxuriösen Datscha in Peredelkino südwestlich von Moskau zwei Tage lang gesprochen und gefilmt. Dabei saß der Gesuchte mitunter in einem lichtdurchfluteten Raum, bot seinen Gästen Granatäpfel und Nüsse an.
Flüchtiger mit grandiosem LebensstilFBI-Agent Dennis Bolles staunte indes nicht schlecht, als er im vergangenen April die Sendung sah. "Er hat den besten Lebensstil, den ich jemals bei einem flüchtigen Verbrecher gesehen habe", sagt der in New York arbeitende Bolles stern.de. Der Leiter der dortigen FBI-Taskforce gegen organisierte Kriminalität mit Schwerpunkt Eurasien hätte so ein Ambiente eher in der Sendung "Lifestyles of the Rich and Famous" erwartet als in einer investigativen Sportsendung, sagt er. Bolles sagt noch immer: "Die Anklage gegen Herrn Tochtaschunow ist sehr solide. Wir sind sicher, dass wir genug Beweise haben, um seine Verurteilung zu erwirken - falls er gefasst wird."

Dabei sah es am Anfang gut aus. Tochtaschunow saß in Italien im Gefängnis. Er hätte nur in die USA ausgeliefert werden müssen. Doch die Italiener weigerten sich. Zehn Monate lang kämpfte der Russe juristisch gegen seine Überstellung. Und er siegte. Auch die unterstellte Geldwäsche, derentwegen die italienische Polizei ihn überwacht hatte, führte zu keiner Verurteilung. Tochtaschunow reiste also zurück nach Russland und lebt dort wieder seit 2003 - fernab der amerikanischen Justiz, denn es gibt kein Ausliefer-Abkommen. Und Tochtaschunow sagte gegenüber ESPN zu den Beweisen, die aus Amerika gegen ihn vorgelegt wurden: "Das ist eine Lüge. Sie haben das alles erfunden." Alles, was an Dialogen in Abhörprotokollen vorliege, sei fabriziert."Die Chancen, ihn zu bekommen, sind derzeit eher gering", gibt FBI-Agent Bolles zu. Ganz bestimmt werde Tochtaschunow Russland nicht mehr unter seiner wahren Identität verlassen. Aber: "Wie es solchen Leuten in Russland oft geht, wechselt das Schicksal mit dem politischen Klima", glaubt Bolles. Zwar genieße Tochtaschunow derzeit Freiheit und soziales Ansehen, aber das bedeute keine ewige Sicherheit vor der Justiz, vor allem nicht, wenn er die Sympathien mächtiger Entscheider verliert.Trotz aller Vorwürfe gegen seine Person ist es dem 1,73 Meter großen gebürtigen Russen aus Taschkent im heutigen Usbekistan allerdings bislang bestens gelungen, dem Zugriff der Justiz zu entgehen. Nach Erkenntnissen verschiedener Ermittler soll Tochtaschunow ein Mittelsmann russischer Mafiosi sein, ein "Dealmaker". Ein sieben Jahre alter Interpol-Bericht erwähnt, der Russe spiele eine Rolle im Drogenhandel, bei illegalen Waffenverkäufen und dem Verschieben gestohlener Autos. Tochtaschunow gilt als enger Vertrauter der auch mit unschönen Schlagzeilen in Verbindung gebrachten russisch-israelischen Mogule Arkadi Gajdamak und Michail Chernay, Interpol listet zudem eine persönliche Verbindung zum notorischen Moskauer Mafia-Boss Semijon Mogilewitsch auf. Allein: Es fehlen Verurteilungen. So scheint es verständlich, dass der vermeintliche Olympia-Pfuscher noch immer Sport-Stars wie den einstigen Eishockeyhelden Pawel Bure und den ehemaligen Tennis-Weltklassespieler Jewgeni Kafelnikow zu seinen Freunden zählt. Tochtaschunow, dreimal geschieden, begann seine Karriere als Angreifer beim usbekischen Fußballklub Pakhtakor Taschkent, ehe es ihn in die damalige Sowjet-Hauptstadt Moskau zog. Nach der politischen Wende soll er sein Geld mit Glücksspiel, dem Baugewerbe und Sportpublikationen verdient haben. Ob Tochtaschunow auch bei den Sommerspielen in Peking eine Rolle spielen könnte? "Wir haben keine Informationen, dass er noch in der Absprache von Sportereignissen aktiv ist", sagt FBI-Ermittler Dennis Bolles, allerdings sei jedes größere Sportereignis heute anfällig gegenüber Gaunereien. Und Sylvia Schenk, Vorsitzende der deutschen Abteilung der Antikorruptionsinitiative Transparency International, sagt stern.de: "Durch den wachsenden Stellenwert der Wetten im Internetzeitalter spielen auch Manipulationen im Sport eine große Rolle, sei es zur Gewinnmaximierung oder zur Geldwäsche." Zwar hätten einige wenige Sportarten das Problem inzwischen erkannt und ihre Aufmerksamkeit für auffällige Wettgeschäfte gesteigert. Doch Schenk sagt auch: "Bei Sportarten mit Juroren allerdings ist die Gefahr der direkten Einflussnahme naturgemäß höher." Und solche Sportarten gab es eben nicht nur in Salt Lake City 2002.

Quelle: www.stern.de

Keine Kommentare: