Mittwoch, 10. September 2008

"Diabolik" - der kranke Killer

Matteo Messina Denaro ist derzeit der aussichtsreichste Kandidat als "Boss der Bosse" der sizilianischen Mafia. Dabei verkörpert er eine neue Generation der Cosa Nostra: Extravagant, ehrgeizig - und äußerst mörderisch. Dazu passt auch sein Spitzname - "Diabolik".Als im April das Konterfei des Gangsterbosses in bunten Farben auf der Rückseite des Normannendoms von Palermo prangte, reagierten viele Menschen in der sizilianischen Hauptstadt schockiert. Im Stil von Andy Warhols Pop-Art-Porträts hatte ein Künstler mit dem Kürzel F. A. das Gesicht des gesuchten Kriminellen Matteo Messina Denaro in Gelb, Rot, Blau und Grün auf die Kirchenmauern gemalt. Als später gleichartige Werke auch noch an drei weiteren sizilianischen Orten auftauchten, schien der Mörder in den Rang eines Popstars aufgerückt.
Für Jugendliche ist er ein IdolDas künstlerische Porträt sah cool aus - doch es zeigte den mutmaßlichen Boss der Cosa Nostra, einen blutrünstigen Killer. Carlo Vizzini, Senator und Mafia-Bekämpfer im Dienste der OSZE, reagierte empört und sprach von "verrückten Mystifizierungen".


Zwar sind die Wandbilder längst überpinselt, doch den Ruf des mächtigen Managers der Mafia hat Matteo Messina Denaro längst inne. In der sizilianischen Jugend gibt es nicht wenige, die in ihm ein Idol sehen. Nachdem die sizilianische Mafia "Cosa Nostra" vor zwei Jahren ihres Überbosses Bernando Provenzano durch eine unerwartete Verhaftung entledigt wurde, galt Denaro - zu Deutsch: Geld - als ein legitimer Nachfolger. Als nächstes schnappte die Polizei im vergangenen Herbst auch noch Denaros älteren Rivalen Salvatore Lo Piccolo. So dürfte es nur noch wenig Widerstand gegen den Aufstieg des 46-Jährigen an die "Cupola", die Spitze der traditionsreichen Kriminalorganisation auf der Mittelmeerinsel geben.
"Ich könnte einen Friedhof füllen""Wenn er es noch nicht hat, so ist er doch sicher der erste Kandidat für das Amt des Kopfes der Cosa Nostra", sagt Massimo Russo, Staatsanwalt aus Palermo. Laut amerikanischem FBI ist Denaro bereits einer der einflussreichsten Drogenbarone der Welt mit guten Kontakten nach Südamerika.
Seit 1993 befindet sich Matteo Messina Denaro auf der Flucht und im Untergrund. Doch seine Taten sind in Italien fast jedem präsent. Er selbst rühmte sich gegenüber einem Freund: "Mit den Personen, die ich abgeschlachtet habe, könnte ich einen Friedhof füllen." Seinen ersten Mord beging er mit 18, inzwischen soll er mindestens 50 Menschen persönlich auf dem Gewissen haben. Darunter auch die Freundin eines Widersachers. Sie war im dritten Monat schwanger, als Denaro sie von Hand erwürgt haben soll. Eine Bluttat, die zu Denaros Spitznamen passt - "Diabolik" nennt er sich nach dem italienischen Comic-Antihelden mit dem skrupellosen Charakter. Doch der Mord an der schwangeren Frau zeigt ebenso wie die Tatsache, dass er schon vor der Ehe ein Kind mit einer anderen Frau gezeugt hatte: Denaro gehört nicht mehr der traditionellen Mafia an, die familiäre Werte und Frömmigkeit betonte. Der inhaftierte Oberboss Provenzano stand noch für die jene Generation.
Denaro - ein LebemannAllen Zeugen zufolge ist Denaro dagegen ein Lebemann. Der Spross eines Mafia-Chefs aus dem westsizilianischen Castelvetrano fiel schon früh durch die Neigung zum Luxus auf. Er trägt Rolex-Uhren, fährt gerne Porsche und kauft Markenanzüge von Giorgio Armani und Versace. Denaro gilt als Mann der Frauen, als Playboy-Don, in einem seiner Verstecke fanden die Fahnder Kaviar und Schampus. So schaffte er es sogar mit einer Ray-Ban-Sonnenbrille auf die Titelseite des auflagenstarken italienischen Wochenmagazins L'Espresso.
Gleichzeitig wird Denaro aber als Taktiker mit kühlem Kopf und Machtanspruch beschrieben. Einer, der sich in den vergangenen Jahren trotz großer Skepsis der Alten einen Platz neben Provenzano und Lo Piccolo erkämpfte. "Er ist das Bindeglied zwischen der alten und der neuen Mafia", analysiert Giuseppe Linares, Einsatzleiter der Polizei in Denaros Heimatprovinz Trapani. Seit 1989 gehört der Kriminelle der Mafia an. In den 90er-Jahren übernahm Denaro zunächst den Einflussbereich seines an einem Herztod gestorbenen Vaters, ehe er nach der Verhaftung des Mafiosos Vincenzo Virga die gesamte Provinz Trapani kontrollierte. Der Mafia-Altvordere Salvatore "Totò" Riina erkannte "Diaboliks" Wert für das organisierte Verbrechen - der Kronzeuge Antonino Giuffrè spricht von Denaro als "Riinas Juwel".
Steckt hinter vielen AnschlägenEr soll, so berichten Ermittler, schon am Mord des weltberühmten Mafia-Anklägers Giovanni Falcone 1992 in Capaci bei Palermo beteiligt gewesen sein. Als der italienische Staat 1993 härter durchgriff und Riina im Januar 1993 ins Gefängnis wanderte, setzte sich Matteo Messina Denaro mit anderen Branchengrößen zusammen. Man beschloss, die Republik an ihren verletzlichsten und stolzesten Stellen zu attackieren. Unter Denaros Führung organisierte die sizilianische Mafia Anschläge auf Kirchen und Museen in Florenz, Mailand und Rom. Zehn Menschen starben, 93 wurden verletzt, wichtige Kunstwerke zerstört. Seit 1993 soll Denaro auch als Wächter über die geheimen Archive der Mafia agieren. Geht es nach den Aufzeichnungen, die italienische Ermittler sammeln konnten, dann hält sich Denaro nicht für einen gewöhnlichen Kriminellen. "Eines Tages wird man wissen, wer auf der Seite der Vernunft gestanden hat", schrieb Denaro in einem Brief.

Doch die Mafia zeichnet sich nicht durch politische Philosophie aus, sie macht harte Geschäfte. Einer Studie des Soziologen Antonio La Spina zufolge kassiert die Cosa Nostra in der Region Palermo jährlich 175 Millionen Euro durch Schutzgeld-Erpressungen, 80 Prozent aller Unternehmer zahlen. Wer das nicht tut, muss mit einem brennenden Betrieb rechnen oder sterben. Wer baut, soll einen gewissen Prozentsatz seines Auftragsvolumens bei der Mafia "versteuern". Das Geld fließt in die Organisation - auch an die Chefs. Von inhaftierten Größen wie Lo Piccolo weiß man, dass sie sich monatlich ein Gehalt von 40.000 Euro auszahlten.
Er handelt mit Waffen, Drogen und BaumaterialienAuch Denaro ist außerordentlich geschäftstüchtig. Er handelt mit Waffen, Drogen, Baumaterialien und hat angeblich auch staatliche Großaufträge im Visier. Aus Ermittlerkreisen wird sogar von einer möglichen Allianz zwischen Cosa Nostra und der ebenfalls äußerst mächtigen kalabrischen 'Ndrangheta berichtet: Wenn Italiens Regierung tatsächlich wie geplant Milliarden in den Bau einer Brücke vom Festland nach Sizilien investiert, wollen die kriminellen Organisationen ihren Teil abhaben. Seit dem 2. Juni 1993 fahndet die Polizei mit Haftbefehl nach dem etwa 1,70 Meter kurzen Mann, der den Spitznamen "U Siccu" trägt - "der Trockene". Dreht man den Namen herum, klingt es auch passend: "ucciso" ist das italienische Wort für "getötet", aber das kann natürlich auch Zufall sein. Auch wenn der Killer sich gerne als Lebemann ausgibt, hat er doch seine körperlichen Schwächen. Aus dem linken Auge schielt er - ein Defekt, dessentwegen er sich 1994 in einer Klinik in Barcelona behandeln ließ. Ob er noch immer schielt, ist ungewiss. Zudem soll er an einer Nierenunterfunktion leiden und auf technische Hilfsmittel zur Dialyse angewiesen sein.
Niemand verrät den Mafia-BossIm April des vergangenen Jahres gab das Polizeipräsidium von Palermo ein simuliertes Fahndungsbild heraus, das zeigt, wie Matteo Messina Denaro heute aussehen könnte. "Die Beamten in der wissenschaftlichen Abteilung haben mehrere Monate damit verbracht und ausgefeilte Techniken eingesetzt, um dieses Bild zu erstellen", sagte ein Polizeisprecher. Es gibt eine Version mit und eine ohne Sonnenbrille. Die Ermittler sagen, Denaro sei ein arroganter Mensch. Zwar haben sie seit 14 Jahren auch eine internationale Fahndung ausgeschrieben. Doch erwarten sie, dass "Diabolik" weiter ganz nah am Stammsitz seiner Familie weilt. Die Polizei geht davon aus, dass er in der Gegend um Castelvetrano zwischen sicheren Häusern hin- und herzieht. Doch trotz aller Appelle der Staatsanwaltschaft hat sich noch niemand dazu hinreißen lassen, den Unterschlupf des Mafia-Bosses zu verraten.
Quelle: www.stern.de

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