Freitag, 22. August 2008

Kaukasus-Konflikt Vorwand Kosovo

21. August 2008 Das Wort Auschwitz ist zwar nicht gefallen. Aber die Vorwürfe Russlands an Georgien kommen einem bekannt vor: Völkermord, ethnische Säuberung, Massaker an russischen Bürgern in der abtrünnigen Provinz Südossetien. Wurde so nicht auch vor zehn Jahren die „humanitäre Intervention“ der Nato im Kosovo begründet, der Luftkrieg des westlichen Bündnisses zur Verhinderung eines Genozids an den Albanern in der kujonierten südserbischen Provinz, die Bombardierung der serbischen Hauptstadt?
Die Ähnlichkeit der öffentlich vorgetragenen Rechtfertigungen militärischen Eingreifens im Kosovo- und im Kaukasus-Konflikt ist tatsächlich frappierend - aber die Unterschiede in der Sache sind es auch. Wer heute den Krieg im Kosovo einfach als Beleg dafür nimmt, dass Staaten gleichsam ein natürliches Recht hätten, aus humanitären Gründen auch ohne Ermächtigung des UN-Sicherheitsrates in anderen Länder einzumarschieren, hat die Umstände der Intervention auf dem Balkan ebenso verdrängt (oder verdreht) wie die Folgerungen daraus.
Humanitäre Intervention
Verglichen mit der langen Phase einer Blockade im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen während des Kalten Krieges, reagierte das wichtigste UN-Gremiums auf die Gewalt im Kosovo zunächst schnell, entschlossen und geschlossen. Der Rat verhängte ein Waffenembargo. Als Massaker an der albanischen Bevölkerung und Vertreibungen durch serbische Kräfte zunahmen, forderte er eine Beendigung der Feindseligkeiten, die Lage nannte er eine Gefahr für Frieden und Sicherheit in der Region. Für den Fall, dass Jugoslawien den ihm auferlegten Pflichten nicht nachkomme, beschloss der Sicherheitsrat, weitere Maßnahmen in Betracht zu ziehen. Das alles geschah unter jenem Kapitel der UN-Charta, das auch militärische Sanktionen erlaubt. Bald wurde jedoch deutlich, dass Russland als Ständiges Mitglied mit Vetorecht den letzten Schritt nicht mitgehen und eine Ermächtigung zur Gewaltanwendung nicht mittragen würde.
An diesem Punkt trat die Nato auf den Plan. Angesichts der fortschreitenden „humanitären Katastrophe“ und der vom Sicherheitsrat festgestellten Bedrohung des Friedens zeigte sie sich davon überzeugt, in diesen „besonderen Umständen“ eine legitime Grundlage für die Anwendung von Gewalt zu haben. Daraufhin kam es zu einem Waffenstillstand, dessen Respektierung wiederum der UN-Sicherheitsrat verlangte, nicht ohne abermals auf die Bedrohung des Friedens im Kosovo hinzuweisen. Nach weiteren Gewaltausbrüchen drohte die Nato Luftangriffe an mit dem Ziel, die Forderungen der internationalen Gemeinschaft zu erfüllen. Tatsächlich bemühte sich die Nato darum, im Einklang mit den Vereinten Nationen zu handeln.
Die Allianz machte dabei stets den Ausnahmecharakter dieser Intervention deutlich. Das klingt auch im „Nie wieder Auschwitz“ des damaligen deutschen Außenministers Fischer zur Rechtfertigung des Krieges an - ein hoher Anspruch. Aber dass es hier nicht um eine Intervention wegen kleiner Verstöße ging, für welche die Nato das zwingende Gewaltverbot über den Haufen warf, stellte auch der damalige UN-Generalsekretär Annan klar: Auf das Kosovo blickend, sah er eine „dunkle Wolke des Völkermordes“.
Als Präzedenzfall missbraucht
Es war schon damals klar, dass ein solcher Einsatz leicht von anderen als Präzedenzfall missbraucht werden könnte, um anderswo auf der Welt tatsächlich oder vermeintlich bedrohte Minderheiten militärisch zu schützen. Und zweifellos muss sich die Nato an ihrem Handeln festhalten lassen.
Es kann aber keine Rede davon sein, dass solche humanitären Interventionen - die kaum so genannt werden - nun weltweit anerkannt wären. Nicht nur Russland, sondern etwa auch China und Indien hielten das Eingreifen der Nato damals für völkerrechtswidrig. Auch die wenigen Fälle, die es davor gab, weisen oft unterschiedliche Gründe für ein Einschreiten auf.
Keine Beweise für Völkermord
Die bloße Behauptung eines Völkermords im nahen Ausland kann jedenfalls eine Verletzung des Gewaltverbots nicht rechtfertigen. Hat etwa der (von Russland angerufene) Sicherheitsrat eine Bedrohung des Friedens durch Georgien festgestellt? Selbst wenn man hier eine mutwillige Blockade des Gremiums unterstellte: Hat Russland stichhaltige Belege für Massenmorde vorgelegt? Klar ist, dass Russland Angriffe nicht dulden muss, sondern sich dagegen wehren dann - auf verhältnismäßige Weise. Zudem kann sich aus dem Selbstbestimmungsrecht eines Volkes, dem das Existenzrecht verwehrt wird, ergeben, dass diesem Volk ein Verbleiben in einem Staatsverband nicht mehr zuzumuten ist; das hat ja auch zur Unabhängigkeit des Kosovo geführt. Aber entscheidend ist letztlich die internationale Anerkennung - die wiederum Staaten wie Russland und China der einstigen serbischen Provinz bis heute verwehren.
Gerade die Nato-Staaten, die den Fall Kosovo als extreme Ausnahme verstehen und zugleich die Aufgaben des Bündnisses immer weiter definieren, tun gut daran, nach den ersten zögerlichen Reaktionen auf den Kaukasus-Krieg, ihre Prinzipien klarzustellen: Das Gewaltverbot und die Pflicht zur Achtung der territorialen Integrität aller Staaten gelten weiterhin. Für diese Prinzipien hatte sich gerade Russland im Fall Jugoslawiens so eingesetzt.

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