Freitag, 22. August 2008

Heimspiel

Ungarns Oppositionschef politisiert in Rumänien
In Siebenbürgen wird in jedem Sommer seit der Wende ein groß angelegtes Treffen der Rumänienungarn abgehalten. Schon seit Jahren zieht dort Fidesz-Chef Viktor Orbán eine Bilanz zur Lage und zu Problemen der ungarischen Nation. Gemeint sind damit die Bewohner Ungarns sowie die rund 2,5 Millionen ethnischen Ungarn in den Nachbarländern.
Orbán setzte sich auch diesmal wieder für die Vergabe der ungarischen Staatsbürgerschaft an diese Minderheiten und für ihre Autonomiebestrebungen ein. Unterdessen gefährdet die vom Fidesz bewerkstelligte politische Spaltung die Interessen der Rumänienungarn.
Die Mehrheit der im östlichen Nachbarland lebenden ethnischen Ungarn sympathisiert mit den Konservativen. Orbán wird in Siebenbürgen als „Ministerpräsident der Nation“ begrüßt. Das ist nicht zuletzt eine Reaktion auf das Verhalten der Sozialisten, die immer wieder die Realpolitik betonen und die EU als Lösung preisen. Gar nicht zu reden von den antinational eingestellten Liberalen, die sich kaum für die Probleme der Minderheitenungarn interessieren.
Die Sympathie für den Fidesz hatte angesichts eines Referendums vom Dezember 2004 einen weiteren enormen Schub bekommen. Zur Erinnerung: Seinerzeit war es um die Vergabe der Staatsbürgerschaft an alle Ungarn im Karpatenbecken gegangen. Immerhin können die im Westen Lebenden seit der Wende sofort einen ungarischen Pass erhalten. Da jedoch die Sozialisten vor einem Kollaps des sozialen Systems sowie dem Einströmen von Millionen rumänischer Arbeitskräfte warnten und so diffuse Ängste schürten, blieb das Referendum wegen zu geringer Beteiligung ungültig. Immerhin hatte die abstimmende Mehrheit die Initiative befürwortet.
Nachbarn überholen Ungarn
Orbán meinte in seiner aktuellen Rede, dass seine zwischen 1998 und 2002 amtierende Regierung die einzige seit 1947 gewesen sei, die eine dem gesamten Ungarntum dienende christlich-demokratisch Politik verfolgt habe. Dagegen hätte die durch das christdemokratische MDF geführte erste Nachwende-Regierung von József Antall lediglich als Konkursverwalter dienen müssen.
Der Oppositionsführer malte ein sehr düsteres Bild von der Lage. So hätten sechs Jahre sozialliberale Regierung Ungarn seiner Wettbewerbsfähigkeit beraubt. Es fehle das soziale Gleichgewicht, ein funktionierendes Bildungs- und Gesundheitswesen. Nur falls die Wettbewerbsfähigkeit des Landes in allen diesen Bereichen erneut hergestellt werde, sei ein Aufschwung zu erhoffen. Orbán beklagte: „Während Ungarn noch vor einem Jahrzehnt Vorreiter in der Region war, wachsen nunmehr Konkurrenten wie Rumänien oder die Slowakei unvergleichbar schneller. Parallel zu dieser Entwicklung schwindet die ungarische Minderheit in diesen Ländern aufgrund von Assimilation und Abwanderung.“
Staatsbürgerschaft und Autonomie
Der Fidesz möchte laut Orbán die Frage der Staatsbürgerschaft der Minderheitenungarn nach einem erhofften Wahlsieg erneut auf die Tagesordnung setzen. Der Oppositionschef sprach sich gleichzeitig für die Autonomiebestrebungen aus.
Auf die Frage jedoch, ob die in Rumänien lebenden Ungarn die Unabhängigkeit des Kosovo als Beispiel ansehen sollten, stellte Orbán fest: „Der Kosovo kann kein Beispiel sein. Die Autonomiebestrebungen der im Kosovo lebenden Serben müssen aber aufmerksam verfolgt werden, weil die Lösung für die in Siebenbürgen lebenden Ungarn nicht eine Abspaltung, sondern eine europäische Autonomie sein kann.“
Orbán legte den Minderheitenorganisationen die Zusammenarbeit ans Herz. Diese gestaltet sich in Siebenbürgen jedoch immer schwieriger. In den vergangenen Jahren war mit starker politischer und vermutlich auch finanzieller Unterstützung des Fidesz die Ungarische Bürgerpartei (MPP) Rumäniens entstanden. Bis dahin war der Ungarnbund (RMDSZ) einziger politischer Vertreter der Minderheit. Seitens des Fidesz wird der Partner in verschiedenen rumänischen Koalitionsregierungen unterschiedlichster Couleurs als linkslastig sowie zu kompromissbereit empfunden – nicht zuletzt, weil die Partei keinerlei radikale Autonomiebestrebungen, sondern eine Politik der kleinen Schritte verfolgt. Dieser Weg hat sich jedoch nur zum Teil als erfolgreich erwiesen.
Zwar hatten sich die rumänischen Parteien vor der EU-Aufnahme des Landes zur Annahme eines neuen Minderheitengesetzes verpflichtet, doch verrottet es bis heute in den Schubfächern und seine Zukunftist äußerst ungewiss.
Gemeinsame Listenplätze oder Wahlbündnis?
Die radikale MPP trat unlängst erstmalig bei Kommunalwahlen in Erscheinung, allerdings mit sehr mäßigem Erfolg: Nur 15 Prozent der Rumänienungarn stimmten für die neue Partei, der Rest unterstützte weiterhin den RMDSZ. Die im Herbst anstehenden Parlamentswahlen bedeuten eine neuerliche Kraftprobe, die jedoch auch Gefahren für die Minderheit in sich birgt: Die zwei konkurrierenden Parteien können sich gegenseitig Wähler abspenstig machen. Als Resultat dieses Kampfes könnten letztlich beide Parteien an der Fünfprozenthürde scheitern.
Damit säße dann kein Rumänienungar im Bukarester Parlament. Um das zu vermeiden hat der RMDSZ dem MPP sichere Listenplatze im Verhältnis der jüngsten Wahl (85 zu 15) angeboten. Die gewählten MPP-Kandidaten könnten dann selbständig ihre Beschlüsse fassen.
MPP-Vorsitzender Jenô Szász hat dieses Angebot zurückgewiesen und stattdessen eine Wahlkoalition beider Parteien vorgeschlagen. Dieses Ansinnen wiederum fand der RMDSZ mit der Begründung inakzeptabel, dass damit die Koalition eine Achtprozenthürde überspringen müsste – während der Anteil der ungarischen Wähler unter sieben Prozent liegt.
Interessanterweise unterstützt auch der Europaabgeordnete, kalvinistische Bischof und Förderer der MPP, László Tôkés, den Vorschlag des RMDSZ. Zwar hat sich Viktor Orbán mit MPP-Chef Szász beraten, doch hielt sich der Fidesz-Vorsitzende in dieser sensiblen Frage öffentlich bedeckt.

http://www.pesterlloyd.net/2008_31/0831orbanrumaenien/0831orbanrumaenien.html

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